Zim Zum (Sopran, Sprecher/ Sänger und kleines Ensemble)

Zim Zum. Nach Texten von Max Dessoir, Franz Kafka, der Kabbala denudata und anderen.

Besetzung: Sopran, Bariton (=singender Schauspieler), Gitarre, Cello, Schlagzeug (=Vibrafon, Trommeln u.a.)

Zuerst veröffentlicht auf dem CD-Album Ruach.

Die Vorstellung des Zim Zum stammt aus der Kabbala. Zim Zum ist eine weltumfassende, kosmologische Idee und meint eigentlich das Zurückweichen Gottes. Gott musste sich erst aus dem Universum, das er zunächst vollständig ausfüllte, in Teilen zurückziehen – Gott zog sich zusammen, kontrahierte sozusagen, damit überhaupt Raum war für die Weltentstehung. Das Prinzip des Zim Zum hat viele intellektuelle, religiöse und andere Dimensionen und bietet zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. Der Rückzug Gottes könnte als etwas Unheilvolles ansehen werden- ist so das Böse und Schreckliche der Welt zu erklären, also als vollständige oder partielle Abwesenheit Gottes? Allerdings eröffnet der göttliche Rückzug auch Räume für Neues. Kann überhaupt „etwas“ entstehen, ohne dass es dafür einen freien Raum gibt? Vielleicht liegt göttliche Weisheit ja gerade in Selbstbegrenzung? In der jüdischen Mystik gibt es zu dem Thema viele Reflexionen und Spiegelungen. Das Konzept des ZimZum bietet auch Schnittstellen der jüdischen Mystik zu Philosophie, Naturwissenschaft und mehr.

Im Werk von Franz Kafka ist die Vorstellung einer zurückweichenden höheren Macht sehr präsent. Immer wieder kommen seine Protagonisten an eine Schwelle, eine Grenze – aber die Grenze und die damit verbundene Machtinstanz bleibt schattenhaft und zieht sich quasi vor dem Eindringling zurück. Kafka könnte man  auch als den Dichter des Zim Zum ansehen, darauf wurde auch schon schon von verschiedenen Autoren hingewiesen. Im hier aufgegriffenen Fragment wird die Situation einer Séance beschrieben, doch die Vorzeichen sind umgekehrt – der Geist wirkt verschüchtert, wie gegen seinen Willen heraufbeschworen, die herrischen Geisterbeschwörer drohen ihm gar Strafe an, wenn er sich so „kläglich“ benimmt. Das plötzliche Abbrechen des Textes „wenn es uns…“ hat etwas Magisches, ein Zim Zum, ein Rückzug, als ob das Eigentliche verschwiegen wird. 

Den Wunsch, das Thema künstlerisch zu bearbeiten, hatte ich schon lange. Einen überraschenden Zugang dazu habe ich durch Schriften von Max Dessoir gefunden, die ich für mich letztes Jahr entdeckt habe. Dessoir (eigentlich Max Dessauer, 1876 bis 1947) war ein Berliner Philosophie-Professor, Psychologe und Spuk-Forscher. Unabhängig von Freud entwickelte er die Idee einer tieferen psychischen Instanz, die er „Unterbewusstsein“ nannte (im Unterschied zu Freuds „Unbewusstem“). Mit wissenschaftlichen Methoden untersuchte er Spuk-Phänomene, er war auch regelmässiger Gast der zur Jahrhundertwende 19./ 20. Jahrhunderts sehr verbreiteten spiritistischen Sitzungen, von denen er Schilderungen mit teilweise großem Unterhaltungswert verfasst hat. Dessoir ist als Autor heute mehr oder weniger vergessen, was sicher auch am kastrophalen kulturellen Kahlschlag in der NS-Zeit liegt. Als „getaufter Jude“ war er aus dem Universitätsdienst entfernt worden, er überlebte aber den Holocaust in einer hessischen Kleinstadt bei Frankfurt.

Aber warum habe ich ein kleines Stück über den Zim Zum umrahmt mit so einer skurillen Geschichte vom Professor und einem Spuk-Medium, um dann aus der lateinischen Kabala denudata zu zitieren zum Thema Zim Zum und Gottes-Kontraktion?

Vielleicht, weil das Thema so abstrakt ist. Es geht um etwas, das sich zurückzieht. Ich wollte einen überraschenden, assoziativen Umgang damit. Leichtigkeit, spielerischer Zugang. Und etwas, das auch in der Performance Spaß macht. Es ist für das Publikum nicht notwendig, den ganzen philosophischen Unterbau intellektuell zu begreifen, um daran Spaß zu haben – weitere Beschäftigung ist aber möglich. Ein Anstoß.  Mich interessiert auch die die Verbindung von Musik, Theater und Literatur. Ein magisches Momentum der Aufführungssituation.